Samstag, 2. Januar 2010

Alles in Butter in Kalkutta



Alles in Oel in Kalkutta waere treffender (wenn auch weniger reimend), denn hier wird alles frittiert, was nicht schnell genug fluechten kann. Aber ich greife vorweg – und moechte mich an dieser Stelle auch fuer die (auch zukuenftigen) Verzoegerungen entschuldigen, denn die Regelmaessigkeit meiner Eintraege laesst – das weiss ich – noch stark zu Wuenschen uebrig. Aber eine unzuverlaessge Internetverbindung plus staendig ablenkende Aktivitaeten plus Feiertage ergeben nicht gerade die optimale Voraussetzung, um meine fruehabendliche Faulheit zu bezwingen und einen zusammenhaengenden Eintrag zu verfassen. Demnach sind die folgenden Eindruecke, da aus der (vagen) Erinnerung erzaehlt und bereits von nachfolgenden Ereignissen verfaerbt, nicht mehr so frisch wie die vor unseren Augen geschlachteten Huehnchen, die es gestern zum Abendessen gab. Der Vollstaenigkeit halber setze ich den Bericht aber trotzdem bei meiner ersten Fahrt nach Kolkata fort, die letzte Woche muss sich halt in ein paar Saetze zusammenquetschen – so wie die Leute hier im Zug, da kann auch keiner atmen und es funktioniert trotzdem.
Also, am 24. Dezember, waehrend die meisten von euch wahrscheinlich Gluehwein trinkend ueber den Weihnachtsmarkt spaziert sind oder noch schnell die letzten Geschenke eingepackt haben, sass ich in einem gurtlosen Taxi und wurde im Takt des aus dem Radio quaekenden “Jingle Bells” (Hindi Remix) durch den dezent bruellenden Stadtverkehr geschaukelt, dass der Zipfel meiner kauffrischen Weihnachtsmannmuetze nur so umherflog. Der Taxifahrer drehte das Radio lauter und begann mitzusingen – nur leider ein anderes Lied. Es erinnerte mich an die Twix-Werbung. Nur leider hatte ich kein Twix. Mathieus Kommentar (This is so weird!) brachte es auf den Punkt. Mit Blick auf die vorbeifliegenden Strassen den Tag reflektierend, kam ich zu dem Schluss, dass dies wohlmoeglich das unweihnachtlichste Weihnachten war, dass ich je erlebt habe (und vielleicht je erleben werde) – aber es war toll.
Trotz einem fruehmorgentlichen gewaltigen Sprung ins Fettnaepfchen, den ich hier lieber nicht oeffentlich preisgeben moechte, startete der Tag gut, es gab das gewohnte Fruehstueck, bestehend aus Chai, Toast mit Ananasgelee, Bananen und Ratnas besten Spiegeleiern. Mit einem von Tapas persoehnlich verfassten Plan machten wir (Jasper plus seine Mama und Schwester, die zu Besuch sind, Mathieu, ein bei uns residierender Belgier, und meine Wenigkeit) uns dann gen Kolkata auf, mit dem besagten Hauptverkehrsmittel fuer Langstrecken, dem Zug. Keine Tueren, froehliches Auf- und Abspringen nach Belieben, fahrende Verkaeufer fuer wirklich ALLES, unwirsches Gequetsche auf den Sitzen, lautes Geschrei, weil irgendwem irgendwessen Tasche auf den Kopf gefallen ist und bald der ganze Wagon in die Diskussion verwickelt ist. Das ist ein guter Fall, so, wie wir ihn eben auf dieser ersten Fahr erleben durften. An schlechteren Tagen, oder besser gesagt, waehrend der Rush Hour, versuchen 200 Inder irgendwie in einen Wagon fuer 80 zu passen und man muss ellenbogenkeifend kaempfen, um sein Lungenvolumen halbwegs ausnuetzen zu koennen. Wobei ich anmerken sollte, dass es im Ladies Department, das ausschliesslich fuer Frauen ist, nicht ganz so schlimm ist wie fuer die werten Herren.
In Howrah, der Hauptbahnstation Kolkatas, groesster Bahnhof Asiens (zumindest behauptet das Mathieu), angekommen, steuerten wir direkt den Faehranleger gegenueber an, um von dort aus den Ganges zu ueberqueren. Dies ist uebrigens die schnellste Moeglichkeit, in die Innenstadt zu gelangen, denn auch wenn Taxi und – je nach Fuelle – auch Bus meist konfortablere Transportmittel sind - der scheinbar zu jeder Tages- und Nachtzeit auf der Howrah Bridge herrschende Stau allein kann bis zu einer halben Stunde Verzoegerung fuehren. Deshalb nahmen wir erst auf der anderen Seite des Flusses (Tapas nennt ihn liebevoll "die heilige Abwasserleitung") ein Taxi zum General Post Office – Fussmuedigkeit scheint einen in Indien schneller zu packen als anderswo. Ich sollte vielleicht bemerken, bevor sich jemand wundert, wie wir uns fuenf Taxifahrten an einem Tag leisten koennen, dass wir fuer 2 x ca eine Stunde Zugfahrt (Hin-Rueck) umgerechnet 10 Cent, Faehrueberfahrt 2,5 Cent und pro halbstuendiger Taxifahrt, bei Stau auch laenger, 30 Cent pro Person gezahlt haben. Man wird also von seinem Geldbeutel nicht gerade zum Zu-Fuss-Gehen motiviert.
Nachdem die Hoffmanns (Jaspers Familie) einige Postkarten unter beharrlichen Fotoblitzlichtern in den Foreign letters-Schlund des imposanten Gebaeudes (siehe Bild) hatten gleiten lassen, stiegen wir nach langer Preisverhandlung ins naechste Taxi (uebrigens alles quietschgelbe Embassadors). Eine weitere Achterbahnfahrt durch den mehr steinharten als zaehfluessigen Verkehr, durch Abgase und Raeucherstabchen”duft”, vorbei an verottenden Palastruinen und bunt beleuchteten Gartenanlagen, vorbei an Haendlern mit glitzernden, blinkenden Weihnachtsdekorabstrakten und Schnellimbissen mit integriertem Sockenladen als Zweitgeschaeft. Ziel: der Kalighat-Tempel, groesster Tempel der Goettin Kali (soweit ich das verstanden habe, koennte man diese Goettin mit Hera in der griechischen Mythologie vergleichen – eine jaehzornige Mutterfigur, Verfechterin der ehelichen Tugenden, die grausam waltet, aber auch Haus und Herd bewacht. Aber so genau kenne ich mich nicht aus). Zugegebenermassen war ich etwas enttaeuscht, denn davon ab, dass die Tempelanlage sehr ueberschaubar war, liess der allgemeine Zustand des Gotteshauses sehr zu Wuenschen uebrig – wie viele ehemals schoene Gebaeude der Stadt scheint es einfach vor sich hin zu gammeln . Die Verzierung deutet laengst verloschenen Glanz an, doch was man wirklich sieht, sind Dreck und broeckelnde Farbe. Na ja, das einzig halbwegs Spannende waren der Ziegenschlachtplatz, die Stelle der taeglichen Opfergabe, und der Fruchtbarkeitsbaum, an dem die Hindus ihre Kinderwuensche anbringen und um den herum der Tempel konstruiert ist. Im Tempel selbst gab es eine Armenspeisung, die von dem praktisch daneben liegenden Mutter-Teresa-Hospiz vergeben wird. Der Kalighat-Tempel liegt naemlich, das muss ich wohl dazu sagen, in einem der aermsten Stadtteile Kolkatas – hier schreit einem die Armut genau so extrem entgegen, wie man es sich vorstellt. Ihr kennt alle solche Bilder, ihr kennt alle solche Filme, ich muss nicht ins Detail gehen. Auch den ersten Blick in das von Mutter Teresa eingerichtete Heim fuer Schwerkranke und Sterbende will ich nicht widergeben – ich musste mehr als einmal schlucken. Nach einem dementsprechend kurzen Aufenthalt dort setzten wir uns wiederum ins Taxi, um zum Victoria Memorial (siehe Bild), einem der bekanntesten Wahrzeichen Kolkatas, zu fahren. Trotz dem dezenten Aergernisses meinerseits ueber die Einrittspreise (Nationals: 10 INR, Foreigners: 150 INR – aber Mathieu meinte, dass ist ueberall in Indien so) genossen wir alle den Streifzug durch das eindrucksvolle Gebaeude im Neo-Renaissance-Stil und den dazugehoerigen Park (ein blau beleuchteter Weihnachtselephant war eines meiner persoenlichen Highlights). Das Museum im Bauwerk selbst, welches sehr huebsch symetrisch angelegt ist, weiss, mit vielen Saeulen, Stuck und einem glatten Teich als Spiegel, schloss jedoch, bevor wir es komplett besichtigen konnten. Ausserdem trieben nur noch unsere leeren Maegen die Beine an, seit dem Fruehstueck hatte es nur kulturelle Nahrung gegeben. Auf Jaspers Wunsch (und wir sind ihm zu tausend Dank verpflichtet, denn Cheesy Bites sollte es IMMER geben) sind wir dann, wiederum mit dem Taxi, in die Park Street (Kolkatas Oxford Street) gefahren – zu einem “Nobel”restaurant (ohne Witz, hier ist es das): Pizza Hut. Ich kann nur sagen, wir haben koeniglich gespeist. Die “If you had a good time, ring the bell”-Glocke war ueberdies sehr inspirierend (wir haben sie natuerlich ausgiebig gelaeutet). Danach sind Mathieu und ich noch fuer eine Weile in die Untiefen des New Market eingetaucht, eine sich scheinbar in alle Himmelsrichtungen erstreckende Ansammlung von Haendlern, aus der man fast keinen Ausweg findet: man ist gefangen zwischen lauthals schreienden Verkaeufern, die einem irgendwelchen Schwachsinn andrehen wollen – ok, ich versuche, nebenbei eine Rechtfertigung fuer den Kauf der Weihnachtsmannmuetzen zu finden :) Und fuer die mitunter peinlichen Tanzeinlagen an Glitzer-Lamettaweihnachtsbaeumen aus Plastik. Egal, die Leute starren einen ohnehin an, als sei man ein Alien, da ist das kommt es eh nicht mehr drauf an :) Allerdings mussten wir unseren edlen Kopfschmuck zwischendurch immer wieder mal abnehmen, um schneller voran zu kommen – wenn die Haendler sehen, dass man irgendeinen Ramsch gekauft hat, wittern sie umso mehr Chancen und bestuermen einen wirklich. Wir wussten uns zu helfen, irgendwann sassen wir erschoepft in besagtem Taxi und verfolgten den naechtlichen Stadtverkehr durch die heruntergekurbelten Fenster. Unentwegtes Hupen, der Taxifahrer erzaehlt uns irgendwas auf Bengali, dann singt er weiter, dreht das Radio noch lauter. Wie gesagt, ein sehr ungewoehnliches Weihnachten.



Tapas und Ratna mit besagten Weihnachtsmuetzen

Auch der naechste Tag entsprach nicht ganz meiner 1.-Weihnachtsfeiertag-Routine von zu Hause. Haarscharf vorbeigeschrammt.
Am Tag zuvor hatten wir mit einer der Schwester im Mutter-Teresa-Schwerkranken-und Sterbeheim gesprochen, die uns sagte, sie koennten ueber die Feiertage noch die ein oder andere helfende Hand gebrauchen. Daraufhin habe ich beschlossen, am naechtsten Tag, dem 25., dorthin zu fahren, um mitzuhelfen. Um ehrlich zu sein, war ich mir aber, bis ich auf der Tuerschwelle stand, unsicher, ob ich es wirklich machen sollte. Wie gesagt, der Eindruck vom Vortag zaehlt nicht gerade zu den rosigsten in meiner Erinnerung, und ich war mir nicht sicher, ob es villeicht zu arg sein wuerde, und ehrlich gesagt kann ich das jetzt immer noch nicht beurteilen. Aber irgendwie stand ich dann auf einmal in einer Schuerze da und hielt jemandes Brechschuessel, in die er beharrlich wuergte – wobei ich bemerken muss, dass das tatsaechlich normalerweise nicht so einfach geht, man muss sich erst irgendwo anmelden und so, aber sie haben eine Ausnahme gemacht. Ich habe den Schwestern geholfen, Medizin, Essen und Trinken zu verteilen, habe mit den PatientInnen, die besser Englisch konnten, gesprochen, Lahme bei ihren Gehversuchen unterstuetzt und ein paar Mal Mullbinden in die Schwerverletztenecke gebracht. Das waren die angenehmeren Dinge. Was die restliche Zeit angeht, moechte ich auch nicht zu sehr ins Detail gehen, da mich manche Situationen derart schockiert haben, dass sie mir im Nachhinein komisch vorkommen. Die einzige Art, in der ich diesen Tag beschreiben koennte, waere eine ziemlich skurrile, die einen zum Lachen bringt, und das kommt mir alles andere als angebracht vor. Als ich irgendwann gegen fuenf meine Sachen wieder aus dem Holzspind nahm, habe ich erst gemerkt, wie anstrengend es eigentlich war. Chai mit Milch und Zucker auf der Dachterasse, den ich von den Nonnen bekam, half schon mal gegen die zittrigen Finger, Gespraeche mit anderen freiwilligen Helfern sorgten fuer Zerstreuung. Trotzdem hat dieser Tag definitiv einen bleibenden Eindruck hinterlassen, oder besser gesagt einige der Menschen, die ich dort getroffen habe. Als ich auf der abendlichen Taxifahrt dem obligatorischen Hupkonzert lauschte, holte mich der Gesamteindruck dann naemlich langsam ein und ich kann nur sagen, dass ich unheimlich froh bin, es gemacht zu haben.
Die restliche Woche verlief relativ unspektakulaer, wobei die reine Tatsache, dass ich wirklich hier bin, fuer mich eigentlich schon Spektakel genug ist (SIEHE Bild!). Ratna verwandelt uns alle langsam in Katzen, wir essen und schlafen und essen und schlafen. Wenn wir das nicht tun, streifen wir ums Haus und warten auf das Essen, lesen und warten auf das Essen, spielen, reden, spazieren. Aber im Prinzip, egal was wir tun, warten wir immer nur auf das Essen, so gut ist es. Ein kleines, lokales Highlight in Mankundu, unserem liebgewonnenen Provinzloch (naja, Provinzloch fuer indische Verhaeltnisse), war die “Geography and Science Prize”-Austellung der regionalen Schulen. Fuer uns war es vor allem deshalb lustig, weil jedes Experiment ein neues Raetsel aufgab, da wir die bengalischen Erlaeuterungen selbstverstaendlich nicht lesen konnten und somit die Fragezeichen ueber unseren Koepfen nicht so leicht zu vertreiben waren. Auch bei den langen Reden zu Beginn galt: wer am wenigsten verstanden hat, klatscht am lautesten (und das waren natuerlich wir)! Jasper ist mit seiner Familie losgefahren, um ein bisschen was von Indien zu sehen, ich habe einen viel zu teuren Schal gekauft, Mathieu war beim Frisoer und Axel ist zurueckgekehrt. Gegen Ende der Woche habe ich eine ziemlich boese Erkaeltung erwischt, weshalb ich seit Tagen keine richtige Stimme mehr habe – ihr koennt euch vorstellen, dass ist fuer mich das Equivalent zu tot. Mathieu und Axel hingegen meinen, dass ich wie ein Mann klinge, bzw. sind sich einig, dass die Abwesenheit meiner Stimme auch seine Vorteile hat :)
Bald geht es weiter, die nachmittagliche Faulheit hat wieder zugeschlagen, die Katzen gaehnen und traeumen weiter vom Abendessen...


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