
Diesmal haben weder übermäßige Faulheit noch wetterbedingte Stimmungsschwankungen die LANGE Verzögerung des nächsten Eintrags verursacht, sondern – ich trau mich kaum, es auszuschreiben – Stress. Um es kurz zu machen: es hat sich ausgekatzt. Mit dem neuen Jahr ist der kalte Wind der Betriebsamkeit in unsere Zimmer geweht und wird seitdem von den Ventilatoren fröhlich im Kreis gewirbelt. Aber wir haben natürlich auch die Fenster geöffnet um ihn hinein zu lassen, den frischen Wind, schließlich sind wir ja nicht zum in der Sonne liegen hier (obwohl unsere Dachterasse langsam einen zunehmend mangnetischen Faktor bekommt). Nachdem Mathieu und ich den Ablauf im Tutorial Lalkuthi* in den ersten Wochen beobachtet und ein bisschen Brainstorming gemacht hatten, haben wir uns zusammengesetzt und überlegt, was für Verbesserungen man wie umsetzen könnte. Man darf nicht vergessen, wir sind Fremde hier und können nicht einfach ankommen und von heute auf morgen alles nach unseren Vorstellungen umkrempeln. Deswegen waren wir auch am Anfang noch sehr zögerlich, weil wir natürlich nicht so gut konnten, wie die Leute auf unsere Aktionen so reagieren würden. Also beschlossen wir, all die Punkte nach Prioriät zu ordnen und den Plan in einzelne Schritte aufzuteilen, die in Quartals- oder Halbjahresabschnitten aufeinander folgen und aufbauen sollten. Körperhygiene stand ganz oben auf unserer Liste, da es eindeutig ein gravierendes und vielleicht auch das offensichtlichste Problem war. Deshalb haben wir dieses als Kern unseres „Morning Call“, der inzwischen schon absolute Routine ist, angelegt, was meiner jetzigen Meinung nach eine sehr gute Entscheidung war. Doch um die Kinder erst Mal in die Schule (also das Tutorial, wir sagen trotzdem immer „school“ dazu) zu bekommen, mussten wir uns auch etwas überlegen, um dem Problem der chronischen Unpünktlichkeit – sowohl der Schüler als auch der Lehrer – entgegenzuwirken. Deshalb haben wir (über Tapas und Sikha) mit den Lehrern vereinbart, dass mindestens eine(r) von ihnen jeden Morgen um 6.45 Uhr da ist, um mit uns die „Wake Up Call“-Runde zu machen. Nun, ich will ehrlich sein, am Anfang hatten wir 6.15 Uhr angepeilt, dann blieb es für eine Weile bei 6.30 Uhr, jetzt schaffen wir (jetzt ist Jasper der „Morning Man“) es selbst gerade so, um Viertel vor pünktlich da zu sein.

Ich muss sagen dieser Teil der Aktion ist schon jetzt jeden Morgen wieder ein Erfolgserlebnis, weil es wirklich toll ist, zu sehen, wie gut sich das Ganze weiterentwickelt. Die Motivation, die ich so jeden Morgen bekomme, versuche ich auch gleich wieder zurückzugeben, mit den „Morning Exercises“, einem kleinen Aufwärmprogramm mit leichten Turn-, Stretch- und Stimmübungen in Verbingung mit englischen Zahlen und dem Alphabet, leichten Vokabeln, usw. aber der Spaßfaktor steht an erster Stelle. So sind die Kinder jeden Morgen aufs neue für Tierlautnachahmungen zu begeistern – und zwar so sehr, dass mich inzwischen die Eltern der Kinder gefragt haben, ob ich nicht bitte das „Huhn“ machen könnte (auf der Straße, in der Öffentlichkeit!), weil die Kinder immer davon erzählen. Und nachdem sich alle groß wie ein Haus und klein wie eine Maus gemacht, wie Tauben gegurrt und wie Tiger gefaucht haben, singen die LehrerInnen mit ihnen die indische Nationalhymne, danach beginnt der Unterricht. In den ersten Wochen bin ich nach dem Morgenprogramm meistens direkt ins Office gefahren, während Jasper (nachdem er zurück gekommen war) normalerweise die komplette Unterrichtszeit dort geblieben ist, um den Kleinsten das Alphabet und die Zahlen bis 100 beizubringen. Er hat bei den Jüngeren auch angefangen, ihnen Buchstaben einzeln beizubringen und nicht immer nur das Alphabet nachzuplappern, auf die Idee ist komischerweise von den Lehrern wohl vorher niemand gekommen. Seit zwei Monaten bleibe ich auch immer da und arbeite mit den älteren Kindern, weil ich den Eindruck hatte, dass viele von ihnen auch deshalb unmotiviert sind, weil sie (zumindest in Englisch) seit Jahren immer dasselbe widerkäuen. Inzwischen sind sie nicht nur enthusiastisch dabei, es werden auch immer mehr, wie es scheint, was natürlich toll ist. Ein guter Rückhalt für uns ist außerdem, dass wir auf der monatlichen Lehrerkoferenz ebensfalls ausgesprochen positives Feedback bekommen haben. Aber – das muss wohl kaum erwähnt werden – natürlich gibt bessere und schlechtere Tage, mehr und weniger motivierte Lehrer, Morgende, an denen man mit einem Hochgefühl im Magen nach Hause fährt und solche, an denen man am liebsten gar nicht aufgestanden wäre. Aber erstere überwiegen bei weitem. Und ansonsten gibt es immer noch Ratnas Morning Chai mit Keksen, die einen unwillkürlich ein Lächeln entlocken, egal, wie griesgrämig man eigentlich gerade dreinschauen will...
*Für alle, die das nicht wissen: Human Wave betreibt mehrere so genannte Tutorials, in denen die Kinder von Kindergarten- bis Gymnasialalter (eigentlich) zusätzlich zum staatlichen Schulunterricht (der so schlecht ist, dass er nicht wirklich zählt), den sie meist selten oder gar nicht besuchen, morgens von 7.00-10.00 unterrichtet werden. Die nächsten Projekte sind Kasbagan, Adashanagore und eben Lalkuthi, das ungefähr 10 Min. mit dem Fahrrad entfernt ist (wenn man indisch fährt). Dort arbeitet die Organisation seit fünf Jahren, es gibt (bisher) einen Klassenraum, in dem fünf LehrerInnen 6 Tage die Woche zwischen 20 und 50 Schüler unterrichten.
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